Frage
In einer unserer Gruppen ist ein Junge, 4 Jahre alt, bei dem Autismus vermutet wird. Er wird im Februar in einer Klinik daraufhin untersucht. Eine seiner Angewohnheiten ist, dass er bei verschiedenen Gelegenheiten das Wippen anfängt. Dies ist im Grunde genommen noch nicht problematisch. Wir lassen ihn zumeist einfach weiterwippen ohne ihn aufzufordern, damit aufzuhören. Nach einer Weile hört es dann auch meist wieder auf. Allerdings verursacht das Verhalten des Jungen in bestimmten Situationen eine große Unruhe auch bei den anderen Kindern, bspw. vor dem Essen. Wir würden gerne wissen, ob es Methoden gibt, um in solchen Situationen zu reagieren.
Antwort
Sehr geehrte Frau Felden, zu Ihrer Fragestellung möchte ich Ihnen gern ein paar Rückmeldungen geben.
Zunächst einmal, kann davon ausgegangen werden, dass das "Wippen" bzw. "Rackern" von Kindern in früheren und auch älteren Stadien der Kindheit ein ganz normaler Vorgang ist, der als alleiniges Kriterium nicht zwangsläufig eine Schlussfolgerung auf "Autismus" zulässt.
Das "Wipp-Verhalten" dient dem Kind dazu, sein Wohlbefinden in der jeweiligen Situation zu regulieren. Schließlich ist davon auszugehen, dass die Geschwindigkeiten außerhalb des Körpers im Vergleich zu den Geschwindigkeiten innerhalb des Körpers nie im völligen Gleichmaß sind. Daher versucht jeder Mensch, gemäß seines individuellen Geschwindigkeitsmaßes, diese Differenz zu regulieren und damit wieder ein Gefühl von Wohlbefinden für sich und die Situation herzustellen. Dieses Prinzip äußert sich in verschiedenen Verhaltensweisen, z.B. darin, dass ein Kind im Garten eine längere Zeit auf der Schaukel sitzt und schaukelt, während ein anderes Kind im Garten sofort auf das Laufrad steigt. Insofern kann ich Sie darin bestärken, das "Wippen" des Jungen nicht zu unterbrechen und auch nicht verbal zu korrigieren. Ansonsten würden Sie gegen sein individuelles Wohlbefinden agieren.
Dennoch stellt sich berechtigterweise die Frage, wie man damit umgehen kann, dass seine permanenten Bewegungsimpulse evtl. die anderen Kinder bzw. die Situation am Essenstisch stören/irritieren. Daher würde ich Ihnen eine nonverbale Reaktionsweise auf den Jungen empfehlen, in die Sie auch alle anderen Kinder integrieren können:
Für die Situation "Essen am Tisch" ist es möglicherweise sinnvoll, dass der Bewegungsrhythmus des Jungen verringert wird. Um dies zu erreichen, wäre es günstig, wenn Sie diese Situation gemeinsam mit dem Jungen und den anderen Kindern vorbereiten. D.h., Sie beginnen, ein paar Minuten bevor tatsächlich gegessen werden soll, die Bewegungsimpulse des Jungen spielerisch aufzugreifen, indem Sie erst einmal zusammen mit allen Kindern wippen, um im Anschluss daran die Bewegung noch zu steigern. Hierbei können Sie verschiedene Dinge ausprobieren wie z.B. hüpfen, stampfen oder sich um die eigene Achse drehen. Wichtig ist, dass die Bewegungsdynamik immer schneller werden muss, bis schließlich alle "erschöpft" zu Boden taumeln. Danach gehen sie gemeinsam mit den Kindern an den Tisch. Möglicherweise wird durch diese Intervention der Bewegungsimpuls des Jungen am Tisch nicht sofort gemildert. Deshalb ist es entscheidend, dass Sie dieses "Spiel" möglichst täglich, zur gleichen Zeit wiederholen und daraus eine Art "Ritual" entwickeln. Durch die Gestaltung des Übergangs in die Essenssituation, besteht die Möglichkeit, dass sich sowohl der Junge als auch die anderen Kinder ruhiger am Tisch verhalten. Entscheidend ist, dass Sie die Geduld behalten und auch kleine Veränderungen (z.B. weniger "Wippen" oder späteres Beginnen mit dem "Wippen" am Tisch) als Teil-Erfolge sehen!
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Umsetzen. Falls Sie weitere Fragen haben, können Sie mich gern persönlich anrufen.
Herzliche Grüße!
Kommentar
Von: Anja Felden, Kita-Leiterin in Nürnberg
Vielen Dank, Ihre Tipps zum Umgang mit dem Wippen in der Gruppe waren sehr hilfreich! Durch das spielerische Aufgreifen des Wippens und die Entwicklung eines täglichen Rituals konnten wir die gesamte Gruppendynamik deutlich verbessern. Einfach super!